Glockenturm und -haus

„Vielen zur Freude – manchen zum Trotz“

Oben in der Domstraße, am höchstgelegenen Punkt der historischen Altstadt, befinden sich dicht an dich zwei alte Nachbarn: das historische Glockenhaus nebst dem sog. Glockenturm.

Der Turm wurde ursprünglich als Wachturm um das Jahr 1200 erbaut und bildete aufgrund seines exponierten Standorts bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die bauliche Spitze der Stadt. Genau deshalb wurde er auch über Jahrhunderte genutzt, um per Glockenschlag zum Beispiel Brände in der Stadt zu melden oder von den sogenannten Stadtpfeifern von hier aus die Uhrzeit verkünden zu lassen.

Das angebaute Glockenhaus ist jedoch deutlich jünger. Die Georgenkirche auf dem Marktplatz war einst ein turmloser Bau und besaß wahrscheinlich zunächst ein kleineres Glockenhaus in direkter Nachbarschaft zu ihr. Vermutlich um die Hörbarkeit der Glocken in der Stadt und dem Umland zu verbessern, wurde 1585 schließlich ebenfalls am höchsten Punkt der Stadt neben dem Stadtmauerturm ein neues Glockenhaus errichtet, in dem in den nächsten Jahrhunderten die Glocken der Georgenkirche läuteten. Für den Bau wurde wohl auch Gestein des alten Doms (der Marienkirche) auf dem Frauenplan verwendet, da dieser nach der Reformation aufgegeben und dem Verfall überlassen worden war und man später im Mauerwerk des Glockenhauses verschiedene hochwertige Bauteile wie Fenstersohlbänke und Türstürze fand, die zuvor an anderer Stelle zum Einsatz gekommen sein mussten. Erst 1902 wurde der Kirchturm auf dem Marktplatz erbaut und löste somit das alte Glockenhaus ab, das seitdem über keine Glocken mehr verfügte und bedeutungslos wurde.

In den 1920er Jahren sollten Glockenturm und -haus wegen Einsturzgefahr abgerissen werden. Die zweite Vergleichansicht zeigt den Turm in seinem damals sehr schlechten Bauzustand. Doch wurde dieser Verlust von den Eisenachern verhindert. Dazu gibt es auch eine kleine Geschichte:

Oberbürgermeister Dr. Fritz Janson lebte direkt rechts nebenan im Haus am Glockenturm und wollte den baufälligen Turm abreißen lassen, wohl um eine freie Sicht nach Westen genießen zu können.
Der Turm wurde aber stattdessen von Eisenacher Bürgern u.a. mit Eisenklammern gesichert. An einer dieser Klammern, die sich auf Höhe von Jansons Wohnung befand, brachten sie ein Gesicht mit herausgestreckter Zunge an – und dazu den Spruch: „Vielen zur Freude – manchen zum Trotz“.
Bürgermeister Jansons war so pikiert, dass er kurz darauf mit Leiter und Säge loszog und die Zunge abtrennte. Mit den Jahren ging die Zunge verloren, tauchte aber 1998 wieder auf und wurde dann wieder am Turm angebracht.

In den 1970er Jahren wurden Turm und Glockenhaus zu Wohnzwecken miteinander verbunden und in den heutigen Zustand umgebaut. Zuletzt erfolgte in den vergangenen Jahren eine etappenweise Restaurierung des Turms und der angrenzenden Stadtmauerreste.

Bilder:

Früher:
Sammlung Alexander Lambrecht
Ansichtskarte
ungelaufen, um 1905

 

Heute:
Alexander Lambrecht
Fotografie
16. September 2023

Früher:
Sammlung Bernd Bierschenk
Fotografie
um 1920

 

Heute:
Alexander Lambrecht
Fotografie
23. Oktober 2021