Gasthaus „Zur Sonne“

Nur eine von den drei Sonnen der Stadt…

Eisenach ist eine Stadt mit drei Sonnen: eine steht täglich hell am Himmel, eine hoch oben am Rennsteig und eine weitere im Eck zwischen der Georgen- und der Hospitalstraße. Die letztere Sonne geht in ihren Ursprüngen bis auf das 15. Jahrhundert zurück und zählt damit zu den ältesten erhaltenen Gebäuden Eisenachs.
 
Das heutige Gebäude bestand zunächst aus ehemals zwei einzelnen, aber im Laufe der Zeit vereinigten Gebäuden, was am Rücksprung der Fassade zur Georgenstraße noch immer gut ablesbar ist. Das rechte dieser beiden Gebäude gehörte einst der wohlhabenden Familie Cotta, die dem jungen Martin Luther von 1498-1501 als Schüler Obdach gewährte. Höchstwahrscheinlich lebte er in dieser Zeit im heutigen Lutherhaus, das ebenfalls der Familie Cotta gehörte. Es ist jedoch anzunehmen, dass er sich zeitweise oder zumindest öfters auch im Haus in der Georgenstraße aufhielt.

Die andere Hälfte des Gebäudes diente wohl schon seit jeher als Gasthaus, das verkehrsgünstig in unmittelbarer Nähe zum Georgentor lag. Jedoch befand sich das ursprüngliche Gasthaus mit dem Namen Zur Güldenen Sonne zu diesem Zeitpunkt noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es wurde im Jahr 1688 erstmals schriftlich erwähnt und zog erst 1710 in das Haus um, das wir heute als Sonne kennen. Dort verblieb die Gastwirtschaft bis ins 20. Jahrhundert hinein.
 
1869 kam es zu größeren Umbauten, denen sich eine Neueröffnung anschloß. Im August 1873 fand im Gasthof Zur Güldenen Sonne der fünfte Parteitag der erst vier Jahre zuvor in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) statt (mehr dazu: Goldener Löwe und Zum Mohren).
1885 erfolgten Umbauten an den Fassaden, 1886 der Anschluss an das neue Kanalisationsnetz der Stadt und um 1924 Änderungen am Erdgeschoss – in diesem Zustand ist das Haus auch auf der alten Ansicht von 1924 zu sehen.
Seine auffälligste Veränderung erfuhr das Gasthaus aber erst 1927. Damals wurde das bis dato zweigeschossige Haus durch ein verschiefertes zweites Obergeschoss ergänzt. Mit dieser Gebäudeerweiterung konnte die Kapazität des Gast- und Speisehauses Zur Sonne, das außerdem über eigene Autogaragen verfügte, vergrößert werden. Als solches blieb die Sonne bis in die 1970er Jahre in Betrieb.
 
Seit 1909 fuhr die Eisenacher Straßenbahn vom Markt kommend durch die Georgenstraße und bediente dabei eine Haltestelle direkt an der Sonne. Ab 1922 bog sie hier außerdem quietschend in die Hospitalstraße in Richtung Krankenhaus ab. Damit ergab sich für Eisenach ein besonderes Phänomen, denn die Eisenacher Straßenbahn war somit die einzige der Welt, die nur nicht bis zur Sonne fuhr, sondern auch um sie herum!
Das typische Quietschen in der Kurve endete mit dem Betrieb der Straßenbahn am 31. Dezember 1975.
 
Ab März 1976 fand das altgediente Gasthaus seine neue Rolle als Jugendklub Sonne des Automobilwerks Eisenach (AWE), mit dem viele Eisenacher und Eisenacherinnen noch heute zahlreiche Erinnerungen verbinden. Darunter zum Beispiel der legendäre Abend des 13. Oktobers 1979: der westdeutsche Komiker Otto Waalkes war an diesem Tag Gast einer Veranstaltung im Saal des Hotels Stadt Eisenach (auch bekannt als Fürstenhof), von wo er sich heimlich entfernte und unbehelligt in die Sonne gelangte. Dort gab er nicht nur Musik und seine Späße zum Besten, sondern hinterließ außerdem einen seiner handgezeichneten Ottifanten an einer Wand des Jugendklubs.
 
Mit der politschen Wende 1990 endete auch die Zeit des AWE-Jugendklubs, der danach zwar in privater Trägerschaft weiterbetrieben wurde, jedoch 1997 seine Pforten endgültig schloss. Damit begann der Leerstand und zunehmende Verfall des schon zu DDR-Zeiten nur notdürftig instandgehaltenen Gebäudes.
2004 übernahm die städtische Wohnungsgesellschaft das Gebäude, um Sicherungsarbeiten vornehmen zu können. 2009 folgte schließlich der Abriss der maroden Seitengebäude einschließlich des ehemaligen Saals. Erst 2014-16 wurden Sicherungsmaßnahmen am ebenfalls stark geschädigten Hauptgebäude vorgenommen, bei denen gut ein Drittel der Bausubstanz ersetzt werden musste.

Pläne, im Gebäude ein betreutes Wohnen unterzubringen, scheiterten, sodass das Haus letztlich in Privatbesitz überging und von seinem neuen Eigentümer mit viel Hingabe restauriert wurde. Heute dient die alte Sonne als privates Wohnhaus, ist also nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich. Immerhin ist diese Sonne der Stadt jedoch erhalten geblieben, während eine andere, hoch oben am Rennsteig, langsam untergeht.

Bilder:

Früher:
Sammlung
Alexander Lambrecht
Ansichtskarte
1924

 

Heute:
Alexander Lambrecht
Fotografie
15. Juni 2024