Bahnhofstraße 1862

Von einer verträumten Vorstadt zur einer pulsierenden Hauptstraße…

Dieder Vergleich zeigt das Areal der heutigen Bahnhofstraßenkreuzung vor dem Nikolaitor in seiner Erscheinung zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Im Grunde hat sich das Bild dieses Platzes im Laufe der Jahrzehnte fast vollständig gewandelt. Die einzige Parallele zur heutigen Zeit bilden das romanische Ensemble aus Nikolaitor und Kirchturm der benachbarten Nikolaikirche. Der Platz war noch nicht die starkbefahrene Kreuzung, die er heute ist, war von kleiner vorstädtischer Bebauung gesäumt und das historische Nikolaitor war noch immer das Nadelöhr, das es schon Jahrhunderte zuvor gewesen war.
Besonders bemerkenswert ist die kleine Mauerbrüstung vorn links im Bild. Sie gehörte zu einem steinernen Brückchen, das einst die Bahnhofstraße über den damals noch dort fließenden Hörselmühlgraben führte. Aus Richtung Eichrodter Weg kommend, kreuzte dieser die Bahnhofstraße, gab dem angrenzenden Viertel Klein Venedig mit seinen kleinen Häuschen direkt am Wasser seinen Namen und mündete nahe der Uferstraße in den noch heute dort fließenden (Nesse-)Mühlgraben. Der Hörselmühlgraben wurde 1908 zugeschüttet und in der Folge verschwand auch die Brücke aus der Bahnhofstraße.

Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Ansicht des heutigen Nikolaiplatzes grundlegend: 1886 wurde, um den Verkehrsfluss an dieser Stelle zu verbessern, ein Großteil der Gebäude auf der rechten Straßenseite abgerissen und stattdessen eine zweite Tordurchfahrt zwischen den beiden Türmen geschaffen. 1888 wurde als Nachfolgebau das Gebäude Bahnhofstraße 1 errichtet, das 1905 teilweise ausbrannte und wohl daraufhin seine heutige vom Jugendstil geprägte Fassade erhielt.
1894 schuf man die Auffahrt zur neu ausgebauten Karthäuserstraße (der heutigen Wartburgallee) und baute 1895-97 den Südflügel des Hotel Kaiserhof, wodurch wiederum einige der alten Häuser weichen mussten. Im Haus am linken Bildrand, in dem Mitte des 19. Jahrhunderts der Sattler August Rothschuh seine Werkstatt betrieb, führte in den 1890er Jahren sein Nachkomme Arno Rothschuh ein Geschäft u.a. für Tabak und Wartburgandenken. Es dürfte ca. 1898 abgerissen worden sein als der Bau des Kaiserhof-Nordflügels begann, der 1899 fertiggestellt war.
Zuletzt verschwand das Gebäude am rechten Bildrand, in dem sich zeitweise ein Zigarrenladen befand. Es wurde Ende der 1960er Jahre gemeinsam mit den kleinen Häuschen Klein Venedigs abgerissen, um dem modernen Neubaublock der Eisenach-Information Platz zu machen, der 1971 fertiggestellt wurde. Dieser Neubau wurde 2008/2009 aufwändig saniert und umgebaut und beherbergt heute neben Wohnungen auch einige Geschäftsräume im Erdgeschoss.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme des neuen Vergleichsbildes (2021) erfolgten Sanierungsarbeiten an der Stützmauer vor dem Nikolaitor, wofür Straße und Fußweg zeitweise gesperrt wurden.

Bilder:

Früher:
Édouard Humbert
„Porte St-Nicolas.“
aus:
Édouard Humbert, 1862
„Dans la Foret de Thuringe. Voyage d’étude“
Federzeichnung
1862

Heute:
Alexander Lambrecht
Fotografie
9. April 2021